Praxisschwerpunkt:

Epilepsie

 

Epilepsien sind Erkrankungen, bei denen anfallsartig eine Funktionsstörung des Gehirns durch „fehlgeleitete“ elektrische Aktivität der Hirnzellen ausgelöst wird. Je nachdem, wo die Störung im Gehirn auftritt, kommt es zu ganz unterschiedlichen Anfallsbildern (z.B. zu Muskelzuckungen und –verkrampfungen, ungewöhnlichen Handlungsabläufen mit und ohne Bewusstseinsstörungen). Ein epileptischer Krampfanfall ist Folge anfallsartiger (paroxysmaler) synchroner Entladungen von Neuronengruppen im Gehirn, die zu plötzlichen unwillkürlichen stereotypen Verhaltensmustern oder Befindensstörungen führen.

Für die Diagnose ist zunächst eine möglichst genaue Beschreibung der Anfallssymptome durch den Kranken und eventuelle Zeugen des Anfalles entscheidend. Sie kann durch EEG-Untersuchungen gesichert und von anderen Bewusstseinsstörungen (z.B. Ohnmachten, Herzrhythmusstörungen, seelischen Ausnahmezuständen) abgegrenzt werden. Mögliche Ursachen am Gehirn werden in der Regel durch eine Kernspintomographie aufgedeckt.

Die Behandlung erfolgt bei wiederholten Anfällen mit einer langfristigen Medikamenteneinnahme zur Unterdrückung der „fehlgeleiteten“ elektrischen Aktivität des Gehirns. Dafür sind in den letzten Jahren viele neue Substanzen entwickelt worden.

Epileptische Anfälle können sich mit den unterschiedlichsten Erscheinungsbildern bemerkbar machen.

 

Die Anfallsformen und ihre Symptome im Einzelnen:

Absencen (Abwesenheit)
Einfache Absencen
Diese sind gekennzeichnet durch eine abrupt beginnende Bewusstseinsstörung oder durch einen plötzlichen Abbruch vom Denken und psychischen Funktionen. Die Absence dauert allgemein zwischen 5-20 Sekunden. Eine kurze Absence von unter 5 Sekunden Dauer bleibt meist unbemerkt.
Die Augen sind dabei geöffnet, der Blick ist starr geradeaus oder nach oben gerichtet, andere Begleiterscheinungen fehlen. In der Hand befindliche Gegenstände werden meist festgehalten. Tritt eine Absence beim Sprechen oder Schreiben auf, werden diese Tätigkeiten unterbrochen. Diese Anfälle werden oft als Unkonzentriertheit oder Tagträumerei fehl gedeutet.

 

Komplexe (ausgestaltete) Absencen
Manchmal werden die Augen nach oben gewandt, der Kopf nach rückwärts geneigt („Hans guck in die Luft“). Rhythmische Zuckungen der Arme oder eines Gesichtsbereiches sind ebenfalls möglich (sie verlaufen oft so diskret, dass sie nur bei genauer Beobachtung erkannt werden). Bei länger andauernden Absencen (mehr als 10 Sekunden) können Kauen, Lecken, Schmatzen, nestelnde Bewegungen mit Fingern und Händen sowie selten komplexere Handlungsabläufe vorkommen. Willkürhandlungen können automatisch fortgesetzt werden (Laufen, Radfahren, Schwimmen). Eine Abgrenzung zu den komplex-fokalen Anfällen ist dann oft schwierig. Wegen der unterschiedlichen Vorgehensweise ist eine klare Zuordnung jedoch notwendig. Es ist dabei zu berücksichtigen, dass die Absencen stets ohne Aura (Vorgefühl) auftritt und eine größere Anfallsfrequenz zeigt. Außerdem ist die Absence kürzer als ein psychomotorischer Anfall.
Pupillenverengung oder –erweiterung, Kopfrötung oder Blässe, bisweilen auch Einnässen kennzeichnen die vegetativen Absencen. Für die Dauer der Absence besteht eine Amnesie, das heißt die Patienten haben anschließend keine Erinnerung daran.


Erste Hilfe beim Anfall
Während des kurzen Anfalls ist keine Hilfe nötig. Man bleibt bei dem Patienten. Falls der Anfall nicht aufhört oder länger als 30 Minuten dauert, ist ein Arzt zu rufen.

 

Einfach-fokaler Anfall
Fokus (lateinisch) = Herd
Fokaler Anfall = von einer bestimmten Region des Gehirns (Fokus)                                 ausgehender epileptischer Anfall
Fokale Anfälle sind meist symptomatisch, das heißt sie sind Ausdruck einer       Grunderkrankung des Gehirns wie Entzündungen, vor/während oder kurz nach der Geburt aufgetretene Hirnschädigungen, Verletzungen und Gefäßerkrankungen. Auch  Tumore können die Ursache sein. In all diesen Fällen gehen die Anfälle von dem jeweils betroffenen Gehirnareal (dem „Herd“) aus.
Bei den einfach fokalen Anfällen bleibt das Bewusstsein erhalten.

Fokale Anfälle mit motorischen Symptomen (Jackson-Anfälle)
Anfallsablauf: Halbseitige Zuckungen, häufig in der Hand beginnend. Die Zuckungen       können sich auf benachbarte Muskelgruppen ausdehnen. Diese Ausdehnungen der          Krämpfe nennt man „Jackson-Marsch“. Nach einem Anfall kann es zu vorübergehender Lähmung der beteiligten Körperhälfte kommen. Fokale Anfälle, die sich nur in einer Wendebewegung der Augen oder des Kopfes äußern, bezeichnet man als versive Anfälle.

 

Fokale Anfälle mit sensorischen Symptomen
Anfallsablauf: Die Patienten berichten z.B. über plötzliche Gefühllosigkeit, Kribbeln oder über abnorme Temperaturempfindungen in einer Gesichtshälfte, einer Hand oder einem Fuß von mehreren Sekunden bis mehreren Minuten Dauer.
Sensorische Ausfälle können alle Bereich der Sinneswahrnehmungen betreffen:
sehen

- Gesichtsfeldausfälle, sehen von Figuren, Farben.     

- Vergrößerte oder verkleinerte Wahrnehmung der Umgebung


hören 

- Ohrgeräusche


riechen 

- gewöhnlich als unangenehm empfundene Gerüche


schmecken

- salzige, süße, saure, bittere, metallische Geschmacksempfindungen


Gleichgewichtssinn   

- Gefühl des Schwankens, des Falles oder des Karusellfahrens

 

 

Fokale vegetative Anfälle
Vegetative Anfälle zählen zu den häufigsten fokalen epileptischen Erkrankungen.
Krankheitszeichen können z. B. sein:
Pupillenerweiterung
Herzrasen
Einnässen, Einkoten
Gesichtsrötung oder Gesichtsblässe
Schweißausbruch
Speichelfluss
Gänsehaut
Übelkeit

 

 

Fokale Anfälle mit psychischen Symptomen
Meist gehen solche Anfälle mit Bewusstseinseinengungen einher und sind dann den      komplex-fokalen Anfällen zuzuordnen. Das isolierte Auftreten psychischer Symptome ohne Bewusstseinsstörung ist selten.
Krankheitszeichen können z.B. sein: Plötzliches Glücksgefühl, Nicht-Erkennen von  Dingen oder Personen, Wutausbrüche, Angst, Ärger, Halluzinationen oder das Gefühl, die Situation schon einmal erlebt zu haben. Häufig sind „Mischformern“ aller Symptome.

 

Komplex-fokaler Anfall
Der komplex-fokale Anfall unterscheidet sich von dem einfach fokalen Anfall durch seinen ausgestalteten Charakter und die zu Beginn oder im Verlauf des Anfalls einsetzende Bewusstseinsstörung.
Der komplex-fokale Anfall beginnt nicht abrupt. Er kann durch verschiedenartige             Missempfindungen eingeleitet werden (so genannte Aura). Diese Empfindungen sind             oft als erste Krankheitszeichen komplex-fokaler Anfälle charakterisiert.
Oft zeigen die Patienten Automatismen (stereotyp ausgeformte Bewegungsabläufe), z. B.    nesteln
räuspern
hüsteln
schmatzen
schlucken
komplexe Handlungen (Möbel rücken, Kleidung wechseln)
sprachliche Abläufe (wirres reden, schreien, stottern, beschimpfen).

Gefühlsäußerungen (Angst, Wut, Ärger, Lachen) sind bei manchen Kranken das führende Symptom. Tonische Verkrampfungen (Anspannung von Muskeln),  ängstliche Versivbewegungen (Wendebewegungen von Kopf bzw. Augen) und vegetative Symptome (erhöhter Speichelfluss, Erbrechen) können hinzukommen.

 

Ferner kann es unter anderem auch zu folgenden Störungen kommen:
Aphasische Störungen (Sprach- bzw. Wortfindungsstörungen)
Dysarthrie (Sprechstörungen, vermehrte Sprechanstrengungen, Veränderungen der Lautstärke und Sprechgeschwindigkeit)
Phonationen (Erzeugung von Tönen und Lauten)
Vokalisation (gesprochene Sprache nur aus Vokalen bestehend)
Mit dem Abklingen des Anfalls hellt sich das Bewusstsein wieder auf und der Patient versucht, sich wieder zurechtzufinden. Die Anfallsdauer beträgt einige Minuten (kann aber auch in einen Status übergehen).

           

 

Erste Hilfe beim Anfall
Nicht festhalten oder Aufhalten!! Gefahren beseitigen. Nicht auf den Patienten einreden, sondern ihn in Ruhe beobachten. Die Gabe von Medikamenten oder ein Notarzt sind nicht notwendig. Dauert der Anfall allerdings länger als ½ Stunde oder häufen sich die Anfälle, dann ist ein Notarzt zu rufen.

 

Grand Mal Anfall (Großer Anfall, generalisierter Anfall)

Geht dem großen Anfall eine Aura oder ein fokaler Anfall voraus, so spricht man von einem fokal eingeleiteten großen Anfall oder einem sekundär generalisierten großen Anfall. Der Krankheitsbeginn ist nicht altersgebunden.
Aus diagnostischen und insbesondere auch therapeutischen Gründen ist bei jedem       Patienten zu erfassen, ob das Auftreten der Anfälle eine Bindung an bestimmte            Tageszeiten bzw. den Schlaf-Wach-Rhythmus zeigt. Man unterscheidet danach drei Arten von Grand-Mal-Epilepsien:


Aufwachepilepsie/Aufwach-Grand mal
Die Anfälle treten bis zu zwei Stunden nach dem Erwachen auf.


Schlafepilepsie/Schlaf-Grand mal
Diese Anfälle treten aus dem Schlaf heraus auf (besonders nach dem Einschlafen bzw. vor dem Erwachen.


Diffuse Epilepsien/diffuses Grand mal
Tageszeitlich ungebundene Anfälle.

 

Der Ablauf eines typischen Grand mal Anfalls wird in folgenden Phasen unterteilt:
Aura (Vorgefühl):
Ca. 10% der Grand mal Anfälle werden durch eine Aura eingeleitet. Die Art der Aura wird vom Entstehungsort des Anfalls im Gehirn bestimmt. Sie dauert nur wenige Sekunden an.


Bewusstseinsverlust:
Der Patient verliert plötzlich das Bewusstsein, gleichzeitig tritt gelegentlich ein plötzliches Aufschreien (Initialschrei) auf. Der abrupte Bewusstseinsverlust kann zu Stürzen und Kopfverletzungen führen.


Tonische Krampfphase:
Sie setzt mit dem Bewusstseinsverlust ein. Die gesamte Skelettmuskulatur ist angespannt zusammengezogen. Es folgt eine totale Übersteckung. In dieser Phase kann es auch zum zeitweisen Atemstillstand durch Verkrampfung der Atmungsmuskulatur kommen. Der Patient kann zyanotisch (=Blaufärbung der Haut) werden. Diese Phase dauert 15-30 Sekunden.


Klonische Krampfphase:
die tonische Krampfphase geht in rhythmische Zuckungen der gesamten            Skelettmuskulatur (=Generalisierung) über. Häufig beißt sich der Kranke dabei heftig auf die Zunge oder in die Wangenschleimhaut, wenn diese zwischen die Zähne geraten. Der verstärkte Speichelfluss führt zusammen mit dem krampfartigen Ausstoßen von Atemluft zur Schaumbildung vor dem Mund. Die Zuckungen dauern nur wenige Minuten.


Postkonvulsive Phase (Zeit nach dem Anfall):
Der Patient bleibt bis zu zwei Minuten ohne Bewusstsein. Daran schließt sich oft eine mehr oder weniger lange, bis zu Stunden anhaltende, Schlafphase an. Bei manchen Patienten kommt es zu einem Dämmerzustand, der durch eine Bewusstseinseintrübung mit Orientierungsschwierigkeiten gekennzeichnet ist. Die Patienten können stark erregt sein. Derartige Zustände halten über Minuten, selten Stunden, vereinzelt länger, an. Nach Wiedererlangen des Bewusstseins empfinden viele Patienten Kopfschmerzen, noch längere Zeit danach auch Muskelkater. Außer an die Aura hat der Patient an den gesamten Anfall keine Erinnerung.


Begleitende Phänomene:
Auch das vegetative Nervensystem wird von dem großen Anfall ergriffen. Erhöhter Speichelfluss, starkes Schwitzen, Harn- und Stuhlentleerungen können auftreten. Die Pupillen sind während des Anfalls weit und lichtstarr (sie verengen sich nicht bei hellem Licht).